Leises Gift by Greg Iles

Leises Gift by Greg Iles

Autor:Greg Iles [Iles, Greg]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-04-15T16:00:00+00:00


Roberts’ Büro war um ein Beträchtliches größer als das von Dodson. Sein Fenster zeigte hinaus auf die Pennsylvania Avenue, genau wie früher das Büro von J. Edgar Hoover. Doch Hoover hatte die Inauguralparaden von sieben Präsidenten unter seinem Fenster vorbeiziehen sehen, was seither keinem Direktor mehr vergönnt gewesen war. Einige hatten sich nicht einmal lange genug auf dem Posten gehalten, um sich die Namen ihrer Abteilungsdirektoren einzuprägen. Alex fragte sich, wie lange Roberts in diesem Amt überleben würde.

Roberts, ein dunkelhaariger Mann von fünfundfünfzig Jahren, war zum FBI-Direktor bestellt worden, nachdem die erste Welle von Reformen in der Folge des Anschlags vom elften September zum Erliegen gekommen war. Sein Vorgänger hatte nahezu zweihundert Millionen Dollar für ein neues nationales Computersystem ausgegeben, das bis heute nicht funktionierte, während Terroristen mit Säcken voller Bargeld durchs Land streiften, um nicht im digitalen Raster aufzutauchen. Was in der Öffentlichkeit über Roberts bekannt war, klang vielversprechend. Als Bundesanwalt hatte er sich mit einigen der größten Konzerne im Land angelegt und in mehreren Fällen eindeutig nachgewiesen, dass sie unerlaubte Absprachen zum Nachteil amerikanischer Kunden und Investoren getroffen hatten.

Zu Alex’ Erstaunen war Roberts nicht der einzige hochrangige Vorgesetzte im Büro. In einem Clubsessel neben ihm saß ein kräftiger, attraktiver Mann von achtundvierzig Jahren, Deputy Director Jack Moran. Moran war zuständig für Ermittlungen, nicht für Administration, und er war Alex während ihrer Jahre in Washington ein guter Freund gewesen, der sich oft eingeschaltet hatte, um ihr den Rücken von Dodson freizuhalten. Auch wenn Moran oder irgendjemand sonst heute nur wenig für sie tun konnte, wärmte seine Anwesenheit in Roberts’ Büro ihr Herz.

»Hallo, Alex«, begrüßte Moran sie. »Sie sehen müde aus.«

»Ich bin müde.«

»Ich glaube, Sie haben unseren neuen Direktor noch nicht kennen gelernt. John Roberts – Alex Morse.«

Alex trat vor, streckte Roberts die Hand entgegen und sagte: »Special Agent Alex Morse, Sir.«

Roberts ergriff ihre Hand und schüttelte sie fest. »Special Agent Morse, ich bedaure die Umstände sehr, in denen wir uns heute befinden. Ich bin ein enger Freund von Senator Clark Calvert, und ich bin mir sehr wohl bewusst, welch großen Dienst Sie seiner Familie erwiesen haben.«

Der Direktor bezog sich auf den Fall, der Alex’ Karriere in Schwung gebracht hatte, die Entführung der Tochter eines US-Senators mit dem Ziel, Lösegeld zu erpressen. Die Taktik des FBI hatte zu einem gefährlichen Patt im ländlichen Virginia geführt. Alex war es nach neun nervenaufreibenden Stunden des Verhandelns gelungen, die Kidnapper, die sich mit ihrer Geisel verschanzt hatten, zur Aufgabe und Freilassung des Mädchens zu überreden. Um die Illusion der Unverletzlichkeit offizieller Regierungsvertreter aufrechtzuerhalten, war kein Wort über den Zwischenfall an die Medien gelangt – doch Alex’ Karriere war von diesem Tag an auf der Überholspur verlaufen. Selbst heute noch warf ihre Arbeit an jenem Tag Dividende ab.

»Ich habe Sie hergebeten«, sagte Direktor Roberts, »weil ich herausfinden möchte, ob es abschwächende oder mildernde Umstände gibt, von denen ich nichts weiß – Umstände, die Ihr Verhalten in den letzten Wochen und Monaten rechtfertigen könnten.«

Alex wusste, dass ihr das Staunen ins Gesicht geschrieben stand.

»Bitte setzen Sie sich«, sagte der Direktor.



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